Mittwoch, 29. Februar 2012

Zeitreisen und ihre Folgen (... und außerdem Tag 5)

Meine liebe Freundin und Autorenkollegin Claudia Toman hat eine Frage in den Raum gestellt, die meinen Momentanzustand so perfekt trifft, dass ich der Versuchung nicht widerstehen kann, mich ihr heute noch anzunähern, obwohl ich vermute, dass sie gar nicht so leicht zu beantworten sein wird:

Angenommen, ihr könntet durch eine Art Zeitloch (King nennt es Kaninchenbau) an einen Punkt der Vergangenheit zurück und es wäre möglich, etwas zu verändern:

1. Welcher Punkt wäre das?
2. Was würdet ihr verändern?
3. Warum würdet ihr es verändern?
4. Wie würdet ihr das tun?
5. Welche Auswirkungen könnte die Veränderung haben, einerseits für euch, andererseits für die restliche Welt?


Wer gerade mit seinen Lebensumständen im Clinch liegt, dem schießen schnell einmal so Gedanken durch den Kopf wie "ich wünschte, ich hätte letztes Jahr nicht diese spontane Entscheidung getroffen ..." oder "wäre ich doch nur vorher geduldiger gewesen, statt gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten ..." - um ein paar x-beliebige Fehlentscheidungs-Möglichkeiten aus dem vollen Angebot des Lebens zu schöpfen.
Wenn ich nun aber genau eines, nämich das entscheidende Ereignis herauspicken muss, dessen Veränderung die Waagschale des Schicksals nachhaltig zu meinen Gunsten verändern könnte, erfordert das eine ganz grundsätzliche Gewissens- und Vergangenheitserforschung.
- Wo war denn die Weggabelung, an der ich die Abzweigung zum Jackpot verpasst habe?
- Woher nehme ich überhaupt die Sicherheit, dass für jeden das große Los bereit steht?
- Wer sagt mir, dass nicht genau jetzt, genau hier und genau auf dieser Route das Glück auf mich wartet, wenn ich nur noch ein paar Schritte weitergehe?
- Was will ich denn überhaupt mit meinem Leben anfangen? Wozu bin ich hier?

Je mehr dieser "W-Fragen" auf mich einprasseln, desto schwerer fällt es mir, ein Ereignis aus meiner Vergangenheit herauszufiltern, das dafür zuständig wäre, warum ich heute mit meinem Leben nicht glücklich und zufrieden sein sollte.
Kann nicht genau diese Person, die aus den vergangenen Entscheidungen und Erlebnissen zu dem "Ich" geworden ist, das mich heute ausmacht, die Träume verwirklichen, die ich im Herzen trage? Könnte es eine andere besser? Eine, die ich wäre, wenn ich an einem Punkt meines Lebens am Rad des Schicksals drehen könnte?

Ich gebe es ehrlich zu: Es gab immer wieder Momente in meinem Leben (und die liegen gar nicht so lange zurück), zu denen ich mir gewünscht habe, nicht zum hundertsten Mal in die gleiche Falle getreten zu sein. Nicht wieder einmal zu unüberlegt gehandelt und zu kurzsichtig entschieden zu haben. Und ich befürchte, es werden noch jede Menge dieser Momente nachkommen. Und wenn nicht die gleichen, dann finden sich bestimmt neue Tretminen.
Also je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer wird meine Entscheidung:
Nein danke! Ich verzichte! Ich krabble aus dem Kaninchenloch zurück so schnell ich kann. Und plumpse in mein patschertes Leben - weil es meines ist und ich es kein bisschen anders haben will. Weil ich nicht riskieren wollte, auch nur einen Menschen nicht mehr antreffen zu können, mich auch nur einmal nicht genauso verirren und wiederfinden zu lassen. Und weil ich überzeugt davon bin, dass ich ja doch von jedem x-beliebigen Punkt aus dem Zeitloch wieder genau auf meinem Hintern landen würde - und genau so soll es auch sein.

Dienstag, 28. Februar 2012

Regelauslegungen - Tag 4

Erstens: Es ist leichter, etwas zu unterlassen, als etwas aktiv schaffen zu müssen.
Zweitens: locker bleiben und das alles nicht so eng sehen.
Drittens: Mein Tag hat auch nur 24 Stunden. Und: Alles Geschriebene gilt. (Notlösung!)

Bei meinen bisherigen Fastenvorsätzen konnte ich mich über die Runden retten, indem ich einfach ruhig geblieben bin und die Zeit für mich hab arbeiten lassen.
Heißhunger auf Schokolade, obwohl ich Abstinenz gelobt habe? Kein Problem (okay, Personen aus meinem unmittelbaren Umfeld könnten da anderer Meinung sein ...) - nichts Süßes im Haus zu haben (auch nicht in den wirklich geheimen Verstecken) erleichtert das Starkbleiben ungemein.
Attacken aufs Familienklima in Form von herumliegenden Socken, nicht erledigten Aufgaben oder eigenwilligen Antworten? Ein paar Augenblicke herbeigeohmter Taub- und Blindheit, gepaart mit tiefen Atemzügen und der Betrachtung von herzigen Kinderfotos - und schon ist dem Bedürfnis nach Perfektion der Waffenschein entzogen.

Aber welche Tricks schreiben mir schnell ein paar flotte Sätze in mein Manuskript, wenn die wochenlang gehätschelte Depression des Kreativzentrums Tintenwolken pupst wie ein adipöser Junkfood-Jünger nach einer Big-Mac-Orgie? Stillhalten und die A****-Backen zusammenkneifen scheint keine erfolgversprechende Strategie zu sein. Die Strategie der Babyschritte vielleicht schon eher.

Womit ich zu meinem dritten eingangs erwähnten Punkt komme: im absoluten Notfall gilt auch ein sauber formuliertes Mail oder eine (mit einfallsreicheren Worten als "Happy Birthday" befüllte) Glückwunschkarte. Schließlich hat frau ja auch (Gott sei Dank!) einen Job, der einige Stunden des Tages um Aufmerksamkeit buhlt und der (leider?) nur ganz selten was mit selbstverfassten (!) Texten zu tun hat.

Und wenn ich ganz und gar keine Ausrede finden kann, schreib ich halt schnell noch einen Blog-Eintrag :-)) ... womit spätestens jetzt jedem klar sein dürfte, womit ich heute meinen eigenen Regeln Genüge getan habe ... aber ... (siehe Punkt zwei) locker bleiben will schließlich auch geübt sein!

Sonntag, 26. Februar 2012

Schreib-Reha, Tag 2

Ich fühle mich wie bei den ersten Schritten nach einem Beinbruch: Die Bewegungen sind ungelenk, ich vertraue mir nicht wirklich. Tragen meine Knochen schon wieder das ganze Gewicht? Darf ich sie so belasten, wie ich es gewohnt war? Ich bin unsicher. Trete nur mit Viertelgewicht auf - und bin ständig in Versuchung, mich wenigstens für einen Moment hinzusetzen. Fünf Meter ringen mir einen Zeitaufwand ab, in dem ich normalerweise einen Halbmarathon gelaufen wäre. Ich hinterfrage jede Bewegung. Würde am liebsten jeden Zentimeter des Bodens unter mir schon im Vorfeld auf alle möglichen Unebenheiten untersuchen, um nicht doch noch über eine Bodenwelle zu stolpern. Und selbst nach akribischer Prüfung vertraue ich meiner Einschätzungsfähigkeit nicht. Schließlich hatte mein Knochenbruch ja eine Ursache, die wohl bei meiner Unfähigkeit im korrekten Gehen zu suchen sein dürfte.

Noch dramatischer als hier bei diesem Blogeintrag lösche ich in meinem aktuellen Wiedereinstiegs-Versuchsprojekt mehr Formulierungen, als ich letztlich durchwinke. Ich überarbeite jedes einzelne Wort so oft, dass ich am Ende den Eindruck habe, weiter zurück zu liegen, als ich begonnen hatte. Und doch wieder irgendwo am Start zu stehen. Nach Stunden vor dem Bildschirm sind die gefühlten 20 geschriebenen Seiten in Wirklichkeit zwei Absätze. Die sind dafür zwanzig Mal überarbeitet, gelöscht, neu formuliert, wieder gelöscht, ohne echte Überzeugung mal gelassen und nach dem nächsten Satz erneut nach treffenderen Bezeichnungen untersucht.
Und trotzdem bin ich stolz auf meine beiden Absätze, die ich für heute einmal akzeptieren will (bis ich sie morgen wahrscheinlich wieder in alle Einzelteile zerlege, um nach den einzig wahren, passenden Ausdrücken zu fahnden).

Ich bin auf Reha. Schreib-Reha. Ich kann nicht annehmen, mich schon nach den ersten vorsichtigen Dehnübungen für die Olympiade qualifizieren zu können. Und sicher ist es auch kein Zufall, dass gerade ein Anthologie-Beitrag in der Pipeline an erster Stelle steht. Das Ziel ist vom Start weg in Sichtweite, selbst wenn ich für jeden Satz fünf Tage brauchen sollte ...

Samstag, 25. Februar 2012

Fastenzeit

Jedes Jahr zum Aschermittwoch mache ich mir Gedanken, womit ich mich in den 40 Tagen vor Ostern auf dieses "Fest der Auferstehung" einstimmen kann. Ich suche nach einer Aufgabe, die mich gerade besonders fordert - in welcher Weise auch immer. Früher waren es häufig der Verzicht auf den Stimmungsaufheller Süßzeug oder der Vorsatz, den Geduldpegel mit meiner Nachkommenschaft zu heben. Als gemeinsame Voraussetzung für die Vorhaben gilt, dass sie nicht ohne beträchtliches Bemühen umzusetzen sein dürfen. Denn: Was keiner Anstrengung bedarf, ist auch nichts wert!
Auch heuer machte ich mich also wieder auf die Suche nach meinem "weak point" - und wusste sehr schnell, wo ich den finden würde. Wie schwer es mir diesmal fällt, genau darauf meinen Finger zu legen, macht deutlich, wie gemütlich ich es mir schon in der selbstgegrabenen Grube gemacht habe.
Seit beinahe einem Monat habe ich keine Zeile mehr an meinen Manuskripten zustande gebracht. Fehlende Motivation, abgestürztes Selbstvertrauen, Mangel an Feedback und allgemeine Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation - wer weiß schon, zu welchen Teilen sich der Kuchen zusammensetzt, der mir schleichend seit Wochen den Magen verdirbt ... Im Grunde ist das auch gänzlich nebensächlich. Seien es faule Ausreden, geistige Erschöpfung, Ideenlosigkeit - es spielt keine Rolle, wie ich den Auslöser benennen will. Tatsache ist das leere Blatt Papier, das mir schon in der reinen Vorstellung den Angstschweiß auf die Stirn treibt.
Einen zeitlang war ich versucht, dem Druck auszuweichen, den ich selbst täglich stärker auf mich ausübte.
Man kann Kreativität nicht erzwingen.
Gönn dir mal eine Pause.
Mach einfach nur, was dir Spaß macht.
Niemand wartet auf ein Meisterwerk von dir.

Genau.

Das Ergebnis war (und ist) ernüchternd.
Abende gefüllt mit exzessivem Internet-Surfing, Patiencen-Legen und passivem TV-Konsum drückten mich immer tiefer ins Loch der Lähmung, statt meinen Geist zu beflügeln oder mich frei fühlen zu lassen. Nicht Erleichterung, sondern Nutzlosigkeit gaben den Takt meiner Freizeit vor. Der Kontakt zu meinem kreativen Selbst war abgerissen und die Lücke zwischen mir und meiner Schaffenskraft wurde täglich größer - wie Sterne im Universum, die sich mit Lichtgeschwindigkeit von einander entfernen und schließlich unseren Sinnen verloren gehen.

Auf der Suche nach etwas, das mir wirklich wirklich schwer fällt, war ich schnell vor der eigenen Tür angelangt. War sie nur angelehnt? Oder inzwischen mit Unmengen an Sperrmüll verrammelt? Egal! dann muss eben ein Rammbock her. Denn manchmal spricht Nachdruck die einzige Sprache, die ein verbocktes Hirn versteht. Manchmal braucht es ein gesprengtes Loch in den Staudamm, um den Denkfluss wieder in Schwung zu bringen. Ja, manchmal muss man sich zu seinem Glück zwingen - oder es zumindest einfach mal versuchen.
Und so schnappe ich nach dem nächstbesten Auslöser und zünde die Schnur. Auch wenn ich meine Vorsätze schon früher manches Jahr nicht lückenlos umsetzen konnte, kam doch wenigstens Bewegung in eingefahrene (und allzu oft unreflektierte) Rituale.
Mein diesjähriger Fastenvorsatz lautet also: Jeden Tag etwas schreiben. Jeden Tag wenigstens ein paar Worte. Zeilen. Ausformulierte und schriftlich festgehaltene Gedanken.
Ich weiß. Ich bin schon mit dem Start in Verzug geraten. Aschermittwoch war schon. Und mein Tag 1 ist eigentlich bereits Tag 4. Aber erstens hab ich gestern schon angefangen und zweitens heiligt in diesem Fall der Zweck die Mittel. Im besten Fall hänge ich die versäumten drei Tage einfach hinten an. Und noch drei und noch drei ... wenn nur der Karren wieder rollt ...

Einigen muss ich mich jetzt nur noch mit mir selbst, ob Blogeinträge auch schon gelten. In der Not firsst der Teufel ja bekanntlich Fliegen ... oder Textzeilen ... oder so ...

Mittwoch, 15. Februar 2012

Halbzeit!

Ich hatte Glück. Wochenlang hatte es eisiges, zum Fahren äußerst unbequemes Wetter gegeben. Und eigentlich hätte ich erst diesen Donnerstag den nächsten Workshop-Termin gehabt (Wettervorhersage: Schneesturm!). Doch eine glückliche Fügung (ein Beweis mehr für meine Theorie, dass es keine Zufälle, sondern mir wohlwollende universelle Beschützer gibt!) hat bestimmt, dass ich mich schon diesen Montag Richtung Pischelsdorf zu meinen Krimi-Experten auf den Weg gemacht habe. Die Straßen waren trocken und frei. Mein kleines Schwarzes schnurrte zufrieden, während ich mich in neugieriger Vorfreude übte.

Heute standen die ersten Schreibschritte auf dem Plan. Auch wenn die Gruppen inzwischen ein wenig unterschiedlich vorangekommen waren und einige noch mitten im Szenenplan steckten, hatte ich zur Einstimmung ein paar meiner Lieblingskrimis mitgenommen. Anhand sehr unterschiedlicher Einstiege wollte ich demonstrieren, wie ein Autor seinen Leser von Anfang an packen kann - und am besten nie wieder auslässt.
Als erstes las ich einen Absatz aus dem genialen Thriller "Erebos" meiner lieben Freundin Ursula Poznanski vor. Die gespannte Stille war zum Greifen. Beim Einstieg von "Tote Mädchen lügen nicht" herrschte ebenso atemlose Aufmerksamkeit. Ich konnte es mir natürlich nicht verkneifen, auch meine Krimis ("Infinity" und "Störfaktor") als Beispiele heranzunehmen (und freute mich extrem über Reaktionen, wie "uuuhhh ... und wie gehts weiter?" "Sagen Sie schon! Sie wissen es doch! Schließlich haben Sie es geschrieben!" ... was bewiesen hat, dass zumindest der Einstieg funktioniert!)

Besondere Aufregung gab es, als ich schließlich noch (ohne nähere Erklärungen) einen Kapitelanfang vortrug, der zumindest einer von ihnen schon nach den ersten Worten das Blut in den Kopf trieb. Eine von den ganz Fleißigen und Begabten hatte mir beim letzten Mal ihre ersten Schreibversuche zugesteckt. Ich war (und bin!) begeistert! Hätte sie sich nicht mit aufgeregtem Quietschen verraten, wäre ihr Text ohne Probleme ebenfalls als professionelles Beispiel für einen packenden Start in einen Roman durchgegangen.
Allen Anfängen ist eines gemeinsam: Schon in den ersten Sätzen stellt sich der Leser Fragen, die er unbedingt beantwortet bekommen will. Es ist ein simpler Trick, an die Neugierde zu appellieren - und er funktioniert, solange der Leser noch nicht alles beantwortet bekommt.

Dass es ab dann den jungen Autoren unter den Nägeln brannte, sich an eigenen spannenden Anfängen zu probieren, war nicht weiter verwunderlich. Und so durften diejenigen, die schon mit ihren Szenenplänen fertig waren, auch gleich zum Schreiben an die Laptops.
Ich gebe es offen zu: Ich hatte ein ganz klein wenig Bammel vor diesem Moment der Wahrheit. Würden sie diesen Haufen an Theorie, mit dem ich sie in den bisherigen acht Stunden beworfen hatte, in die Praxis umsetzen können? Wie würde das Schreiben in der Gruppe funktionieren? Erwarteten wir nicht alle zu viel von ihnen?
Doch ich hätte mir meine Sorgen sparen können.
Nicht nur der Eifer und Einsatz stimmte zu hundert Prozent, ich war auch begeistert, wie zielsicher sie alle Überlegungen, die wir angestellt hatten, in ihre Textanfänge umsetzen konnten.
Noch haben nicht alle Gruppen angefangen. Und ein paar recht abenteuerliche Wortschöpfungen haben mir die Lachtränen in die Augen getrieben (ich entschuldige mich für meinen öffentlichen Heiterkeitsausbruch! Ich wollte niemanden beleidigen und hoffe, derjenige fühlt sich von mir nicht ausgelacht!!). Aber ich hatte ein paar großartige Krimi-Anfänge mit im Gepäck, als ich mich nach diesen beiden Stunden wieder auf die Heimreise machte. Und ich bin schon total gespannt, wie das alles noch weitergehen wird. Dass es noch viel großartiger funktioniert, als ich es zu hoffen gewagt hatte, davon hat mich die erste Halbzeit jedoch schon vollständig überzeugt!